HT 2021: „…dieser unmenschliche Handel unter britischer Flagge … war durch ganz Deutschland verabscheut“. Die angebliche Abwesenheit deutscher Akteure im transatlantischen Sklavenhandel

HT 2021: „…dieser unmenschliche Handel unter britischer Flagge … war durch ganz Deutschland verabscheut“. Die angebliche Abwesenheit deutscher Akteure im transatlantischen Sklavenhandel

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
hybrid (München)
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2021 - 08.10.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Jasper Henning Hagedorn, Institut für Geschichtswissenschaft, Abteilung Frühe Neuzeit, Universität Bremen

Die Sklavereiforschung hat sich in Deutschland in den letzten Jahren dynamisch entwickelt. Die Untersuchung deutscher Kolonialverbindungen beschränkte sich lange auf das Deutsche Kaiserreich. Frühere Verbindungen waren im öffentlichen Bewusstsein vergessen und selbst in der historischen Forschung kaum bekannt. Erst die jüngste Forschung stieß einen noch anhaltenden Prozess an, der die teils bewusste Verdrängung frühneuzeitlicher Verbindungen mit Kolonialismus und Sklavenhandel umkehrt. Die hier vorgestellte Sektion kombinierte verschiedene Themenfelder dieser neuen Forschung, um dazu beizutragen, ein vollständigeres Bild der Verbindungen des Alten Reichs mit dem transatlantischen Sklavenhandel zu schaffen.

In ihrer Einleitung betonte REBEKKA VON MALLINCKRODT (Bremen), dass sich das Bild der Sklaverei und des Sklavenhandels im Alten Reich bereits grundlegend gewandelt habe. Die Vorstellung vom Alten Reich als provinzielles, von der ersten Globalisierung nahezu unberührtes Gebilde sei ebenso wenig haltbar wie die von Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Osterhammel vertretene These, die den deutschen Sonderweg bis auf die frühneuzeitliche Kolonialzeit zurückführt. Die inzwischen erbrachten Nachweise der vielfältigen Grenzüberschreitungen von Waren, Personen und Ideen würden die kategorische Unterscheidung zwischen Kolonialmächten und Staaten ohne eigene Kolonien ebenso relativieren wie diejenige zwischen Sklavenhaltergesellschaften und Gesellschaften mit Sklaven.1 Der in den Vorträgen vorgestellte Einblick in die aktuelle Sklavereiforschung bestätige die neuere Einordnung Mitteleuropas als Slavery Hinterland.2

ANKA STEFFEN (Frankfurt an der Oder) führte die Entwicklung der schlesischen Leinenproduktion vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg als Beleg der deutschen ökonomischen Beteiligung am atlantischen Sklavenhandel und der Ausbeutung Afrikas an. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts gelangten über die britische Royal African Company große Quantitäten schlesischer Leinwand nach Afrika. Nach 1700 kam es zu einem explosiven Wachstum des Leinenexports nach Afrika und Amerika. Ein treibender Faktor sei der erzwungene Konsum versklavter Menschen gewesen. Doch auch koloniale Oberschichten hätten schlesische Leinwand abgenommen. Es könne dabei nicht einfach geschlussfolgert werden, dass grobe Leinen für Versklavte und feine, weiße Leinen für die weiße Bevölkerung vorgesehen waren. Als Symbol der Selbstbestimmung hätten auch Schwarze Sklavinnen und Sklaven sich feine Leinen angeeignet.

Der ausschlaggebende Faktor für den Erfolg der schlesischen Leinwandproduktion seien die geringen Herstellungskosten gewesen. Zunächst adelige Gutsherren, die im Laufe des 18. Jahrhunderts von bürgerlichen Kaufleuten verdrängt wurden, ließen auf ihren Gütern Leinen günstig von Leibeigenen spinnen. Anka Steffen betonte, dass die schlesische Leinenproduktion auch die Zeiten schlechten Umsatzes nach den Napoleonischen Kriegen in einem von englischen Baumwollprodukten gesättigten Markt überstehen konnte. Es dürfe an dieser Stelle nicht wie sonst üblich ein Ende der schlesischen Textilproduktion angenommen werden. Der Fortbestand prekärer Arbeitsverhältnisse habe deren Erfolg langfristig gesichert. Ein Überangebot an Arbeitskräften habe bis ins 20. Jahrhundert zu einem unterdurchschnittlichen Lohnniveau geführt. Noch eine weitere Entwicklung habe den schlesischen Industriellen den Sprung vom 19. in das 20. Jahrhundert ermöglicht: Sie seien im Deutschen Kaiserreich erneut in den Überseexport eingebunden gewesen und hätten von den deutschen Kolonialmärkten profitiert – etwa durch die Produktion von Tropenbekleidung.

JOSEF KÖSTLBAUER (Bremen/Bonn) bewegte das Thema der Sektion hin zu rechtlichen und sozialen Fragen, indem er das Zusammenspiel aus rechtlichem Status und Funktionen versklavter Menschen untersuchte. In seinem Vortrag zeigte er auf, dass der Sklavenstatus im Alten Reich nicht wie in älterer Forschung angenommen gegenstandslos war. Dennoch reiche es aber auch nicht aus, allein nach dem Sklavenstatus zu fragen. Anhand der versklavten Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine stellte er dar, dass sich Praktiken der Versklavung im 18. Jahrhundert mit anderen asymmetrischen Beziehungen und Abhängigkeitsverhältnissen verbanden. Die Herrnhuter Brüdergemeine unterscheide sich in Bezug auf Versklavungspraktiken nicht notwendigerweise von anderen kolonialen europäischen Akteuren. Die Herrnhuter unterhielten im 18. Jahrhundert Missionsstationen in Kolonien verschiedener europäischer Staaten. Bereits wenige Jahre nach Errichtung der ersten Missionen begannen sie aus ökonomischen Gründen Sklavinnen und Sklaven zu kaufen. Es konnte dabei die Situation entstehen, dass eine Person Bruder oder Schwester und gleichzeitig Besitz der Gemeine war.

Im Mittelpunkt des Vortrags stand die repräsentative Funktion der versklavten Menschen. Köstlbauer konnte im Zeitraum von 1734 bis 1828 44 Personen nachweisen, die aus den Kolonien von der Karibik bis Grönland in die europäischen Gemeinorte gebracht wurden. Darunter befanden sich 15 versklavte Menschen, die in das Alte Reich verschleppt wurden. Entscheidend sei nicht ihr Sklavenstatus gewesen, sondern ihre repräsentative Funktion. Als ehemalige Heiden symbolisierten sie den Erfolg der Mission. Diese Repräsentationsarbeit hätten auch nicht versklavte Konvertiten ausfüllen können. Die hohe Zahl an Versklavten spreche aber dafür, dass die Herrnhuter über diese Personengruppe leichter verfügen konnte. Während die Herrnhuter diese Personen in den Kolonien klar als Sklaven bezeichnet hätten, würden die europäischen Quellen den Sklavenstatus selten erwähnen und nur von Geschwistern der Gemeine sprechen. Dennoch gebe es Hinweise, dass die Herrnhuter bereit gewesen seien, auch in Europa über die üblichen Dienstverhältnisse hinausgehende Abhängigkeiten und Zwangsverhältnisse durchzusetzen. So ließ die Gemeine einen aus Herrnhut geflohenen Sklaven als entlaufenen Dienstboten zurückbringen. Dieser Vorgang zeige, dass der Sklavenstatus gemeinsam mit anderen Formen der Subordination existierte.

SARAH LENTZ (Bremen) erweiterte die Betrachtung der Verbindungen Deutschlands mit der atlantischen Sklaverei um zwei Themenfelder. Sie verband die Untersuchung deutscher Sklavenhalter und Sklavereiprofiteure mit der Erforschung des deutschen Sklavereidiskurses im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Es gelte die Thesen zu hinterfragen, dass eine Beteiligung deutscher Akteure an der Sklaverei nur im Verborgenen stattgefunden habe und dass die deutsche Stellvertreterdebatte primär als Stellvertreterdebatte für innerdeutsche Themen wie den Fortbestand der Leibeigenschaft geführt worden sei. Zu diesem Zweck betrachtete Lentz Surinam, eine niederländische Kolonie, deren weiße Bevölkerung Ende des 18. Jahrhunderts zu einem Drittel deutscher Herkunft war. Von den tausenden Deutschen, die oft als Soldaten nach Surinam gingen, fanden viele einen Weg in die Plantagenwirtschaft. Sie begannen als Sklavenaufseher und wurden Plantagenverwalter oder -besitzer. Deutsche Ärzte oder Apotheker lebten in kolonialen Städten und deutsche Seeleute, die nicht ausschließlich aus den Küstenregionen stammten, arbeiteten auf niederländischen Sklavenschiffen.

Eine entscheidende Entwicklung sah Lentz in der temporären oder permanenten Rückkehr solcher Personen. Sie hatten von der Sklaverei in hohem Maße wirtschaftlich profitiert, sahen sich aber in den 1780er-Jahren in ihrer Heimat mit einem zunehmend sklavereifeindlichen Diskurs konfrontiert. Einige Rückkehrer hätten sich angesichts abolitionistischer Zeitungsartikel, welche grausame Sklavereipraktiken anprangerten, veranlasst gesehen, Gegendarstellungen zu veröffentlichen. Ebenfalls in Zeitungen verbreitete Berichte deutscher Surinamrückkehrer hätte die Leserschaft aufgrund ihres Augenzeugenstatus als glaubwürdig empfunden. Als Beleg für einen umfassenden Wissenstransfer über die Sklavereibeteiligung sah Lentz auch Nachlassanfragen von in Deutschland gebliebenen Familienangehörigen. Dass diese keine Hinweise auf Kritik an der Sklaverei beinhalten, sei nicht verwunderlich. Schließlich sei Ziel der Anfragen gewesen, über das Erbe von der Sklaverei zu profitieren.

Im letzten Vortrag schloss sich der Kreis der verschiedenen Felder der Sklavereiforschung mit einer Rückkehr zur ökonomischen Betrachtung. MAGNUS RESSEL (Frankfurt am Main) ging dabei insbesondere der Frage nach, wie die Imagination des Alten Reichs als sklavenhandelsfreie Gesellschaft trotz intensiver wirtschaftlicher Verbindungen möglich war. Die 1810 veröffentlichten Memoiren des Kolonial- und Sklavenhändlers Friedrich Romberg sah er als zentrale Quelle, um diese Entwicklung nachzuvollziehen. Romberg hatte sich als Transithändler in Brüssel etabliert. Belgien bildete den Knotenpunkt seines Transithandels zwischen dem französischen Kolonialreich und dem europäischen Hinterland. Als Romberg in den 1780er-Jahren in den Sklavenhandel einstieg, waren fast alle europäischen Mächte inklusive Hamburg im Sklavenhandel aktiv. Zur Finanzierung seines ersten Sklavenhandelsunternehmens griff er größtenteils auf das Netzwerk der über Europa verteilten Hugenotten zurück. Als Zentrum seines Sklavenhandels etablierte sich Bordeaux, seine Seeleute rekrutierten sich jedoch größtenteils aus Schleswig-Holstein. Es sei die gute Anbindung an die kontinentaleuropäischen Märkte gewesen, welche Romberg hohe Gewinne und eine bessere Profitabilität als Kaufleuten in den skandinavischen Monarchien einbrachte.

Obwohl der Sklavenhandel zu seinen profitabelsten Geschäften gehört hatte, stellte Romberg ihn in seinen Memoiren als Verlustgeschäft dar. Romberg verfasste die Memoiren nach dem Ruin seiner Firma, um seinen Ruf zu bewahren und einer möglichen Haftstrafe wegen Zahlungsunfähigkeit zu entgehen. Die Ursache für die fälschliche Einordnung der finanziellen Bedeutung des Sklavenhandels sah Ressel in der veränderten öffentlichen Wahrnehmung des Sklavenhandels, der inzwischen geächtet war. Romberg wählte zur Problembewältigung eine andere Strategie als die von Sarah Lentz beschriebenen Surinam-Rückkehrer. Da Romberg seine Beteiligung am Sklavenhandel nicht glaubwürdig habe abstreiten können, habe er sich durch das Narrativ eines entscheidenden finanziellen Verlusts selbst als eine Art Opfer des Sklavenhandels dargestellt. Da Romberg seine Aktivitäten beschrieb, habe er letztlich nicht zur Deutung einer Abwesenheit deutscher Akteure im Sklavenhandel beigetragen. Die angeblichen Verluste würden sich aber in eine „Deutungslinie der Exotisierung des historischen Sklavenhandels“ einfügen, die sich im 19. Jahrhundert in Belgien und Deutschland durchsetzte.

In seinem Kommentar nannte KLAUS WEBER (Frankfurt an der Oder) zwei Gründe für das Vergessen dieser älteren kolonialen Verflechtungen Deutschlands. Erstens habe sich die Ablehnung der Sklaverei im 19. Jahrhundert während der sukzessiven Abschaffung der Sklaverei in amerikanischen Territorien in der deutschen Öffentlichkeit durchgesetzt. Zweitens sei der „teilhabende Kolonialismus“, der nicht unter deutscher Flagge geschah, lange vom Kolonialismus des Deutschen Kaiserreichs überdeckt worden. Folgend stellte Weber zur Diskussion, wie diese Verflechtungen mit den politischen und wirtschaftlichen Strukturen des Alten Reichs verknüpft waren. Er sah ausgehend von der Konfession der Akteure unterschiedliche Haltungen zu Leibeigenschaft und Sklaverei. So habe es im lutherisch geprägten Osten Preußens eine auf Zwang basierende Produktion gegeben, im calvinistisch geprägten Westen hingegen ein auf Kapital und niedrigen Zöllen basierendes Produktions- und Handelssystem. In der Diskussion fanden sich sowohl Zustimmung als auch Kritik an dieser These. Es herrschte Einigkeit, dass sich solche Tendenzen erkennen ließen. Dazu passten die in Ressels Vortrag vorgestellten hugenottischen Verbindungen Rombergs sowie laut Weber eine starke calvinistische Präsenz in den französischen Kolonialhäfen. Eine Kausalität herzustellen, sei aber schwierig, auch weil diese Tendenz nicht universell vorhanden sei. Laut Lentz fehle sie etwa in der Zusammensetzung deutscher Schiffsbesatzungen auf niederländischen Sklavenschiffen.

Die Sektion führte die Untersuchung von wirtschaftlichen Zusammenhängen, Migration, öffentlichen Diskursen und Wissens- sowie Ideentransfers zusammen. Es wurde damit ein wichtiger Beitrag zu der sich dynamisch entwickelnden Sklavereiforschung geleistet. Die Einzelvorträge wiesen verschiedene Arten der Verbindungen zum Sklavenhandel nach. Sie boten damit Einblick in einen laufenden Forschungsprozess, das Ausmaß dieser Verflechtungen ist noch nicht hinlänglich geklärt. Hervorzuheben ist aber insbesondere die Kombinationsleistung der Sektion. Zusammengenommen zeigten die Vorträge, dass das Forschungsfeld bereits über eine ausreichende Grundlagenarbeit verfügt, um erste systematische Betrachtungen der Verbindungen mit dem transatlantischen Sklavenhandel in ihrer ganzen Breite durchzuführen.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Magnus Ressel (Frankfurt am Main)

Einleitung: Rebekka von Mallinckrodt (Bremen)

Anka Steffen (Frankfurt an der Oder): Schlesien und die Sklaverei – Eine Beziehungsgeschichte vom 17. Jahrhundert bis zum 1. Weltkrieg

Josef Köstlbauer (Bremen/Bonn): Zwischen Unsichtbarkeit und Repräsentationsfunktion: Versklavte Menschen und die Herrnhuter Brüdergemeine im 18. Jahrhundert

Sarah Lentz (Bremen): Deutsche Sklavenhalter und -profiteure in Surinam und der Transfer von Wissen über eine deutsche Involviertheit in die Sklavenwirtschaft im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert

Magnus Ressel (Frankfurt am Main): Zwischen Altem Reich und atlantischer Plantagenwirtschaft: Das Handelsimperium des Friedrich (von) Romberg (1729-1819)

Kommentar: Klaus Weber (Frankfurt an der Oder)

Anmerkungen:
1 Vgl. Rebekka von Mallinckrodt / Sarah Lentz / Josef Köstlbauer, Beyond Exceptionalism – Traces of Slavery and the Slave Trade in Early Modern Germany, 1650-1850, in: Dies. (Hrsg.), Beyond Exceptionalism – Traces of Slavery and the Slave Trade in Early Modern Germany, 1650-1850, Berlin/Boston 2021, S. 1-25.
2 Felix Brahm / Eve Rosenhaft (Hrsg.), Slavery Hinterland. Transatlantic Slavery and Continental Europe, 1680-1850, Suffolk 2016.